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  Indeterminate! Kommunismus

Vom 7. bis 9. November 2003 fand in Frankfurt der Kongress Indeterminate! Kommunismus statt; veranstaltet von dem Verein DemoPunk. no spoon hat dort einen Workshop mit dem Titel "Linke Politik(vorstellungen): Bio- oder Bewegungspolitik?" angeboten. Auf dem Podium sassen Peter Wahl (weed/attac) sowie Sebastian Scolnik und Fabio Romanello (colectivo situaciones).

Nach einer inhaltlichen Einführung wurde zunächst auf dem Podium in fünf Frageblöcken diskutiert, um dann in die allgemeine Diskussion überzuleiten. Hier zunächst der Einleitungstext, der auch als
PDF-Version heruntergeladen werden kann.
(Eventuell folgen in Kürze einzelne Redebeiträge.)

Bio-Politik oder Bewegungspolitik?

Es brauchte beileibe nicht erst den Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten 1989, um zu merken, dass das sozialistische und sozialdemokratische Projekt seit den siebziger Jahren, mithin seit Beginn des Neoliberalismus in einer tiefen Krise steckte. Das sozialistische und sozialdemokratische Projekt war aufs engste mit den etatistischen Formen der fordistischen (national-)staatlichen Regulierung und Gesellschaftsplanung verquickt, beide zielten auf die staatliche Machtübernahme und versprachen sich davon die vernünftige Einrichtung der Verhältnisse. Die Kritik an dieser staatsfixierten Politik gehört inzwischen fast zum linken Allgemeingut. Mit einigem Recht lässt sich sogar behaupten, dass die Staatsskepsis, die sich seit den siebziger und frühen achtziger Jahre und in den vielen Bewegungen rasant verbreitete, den Niedergang des sozialistischen und sozialdemokratischen Projekts am frühzeitigsten indiziert haben.

Der Triumph des Neoliberalismus lässt sich zu einem Gutteil aus der Krise des sozialdemokratischen und sozialistischen Projekt, dem neben der sozialen auch die materiale Basis erodierte. Die Verteidigung der an den Fordismus gebundenen Errungenschaften war ein konservativer Kampf, der die alltagspraktische Macht der Bewegten nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Denn während des Fordismus hat ein enormer Kommodifizierungs- und Durchstaatlichungsschub stattgefunden, mit dem die alltägliche Lebensweise der Subalternen zum Gegenstand der Verwertung wurde.

Zum anderen gehört zur Geschichte der Linken während des Neoliberalismus auch die staatsskeptische, bewegungsorientierte oder anti-etatistische Linke. Nicht minder erfolglos! Die strikte Bewegungsorientierung, die Garant für eine bessere, demokratischere Politik als die der Sozialdemokratie sein sollte, war schwer durchzuhalten. Wir kennen die Geschichte vieler Linker in den Grünen. Und wer sie durchhielte, beschränkte sich allzu oft auf den Status der kritischen Öffentlichkeit, der die schlechten Zustände beklagte. Das Fehlen eines expliziten politischen Projekts wurde hier manchmal noch zur Tugend No. 1.

Auch die staatsskeptische Linke, so unsere These, reproduziert bis in die heutigen Tage eine etatistische Politikvorstellung, wenngleich in negativer und aufgeschobener Form. Wenn sie auf die Formulierung eines konkreten politischen Projekts so vehement verzichtet und jede Praxis als wahlweise unpolitisch oder latent etatistisch denunziert, dann weil sie selbst kein anderes denn ein etatistisches denken kann, das ihr das Kriterium für Politik ist.

Seit der Revolte von 1968 gab es zahlreiche Politiken, die die Formen von Arbeit, Produktivismus, Klein-Familie und Geschlechterverhältnis, Nationalstaat selbst zum Gegenstand hatten. Ihre neuartige Bedeutung kann mit Foucaults Konzept der Bio-Politik verstanden werden. Unter dem Motto "Nicht dermaßen regiert zu werden" wurde die biopolitische Regulierung in Frage gestellt. Die Gouvernemetalität der fordistischen Alltagspraktiken, Subjektivitäten, Lebensweisen selbst bildet den Fokus dieser Politiken, die somit die Chance für emanzipative gesellschaftliche Veränderungen in sich bergen.

Wenn wir von Biopolitik reden, meinen wir nicht nur Biopolitik im engen Sinne von Bevölkerungspolitik und Rassismus. Unser Schwerpunkt liegt darauf, Biopolitik als emanzipative Strategie im Alltag zu thematisieren - Perspektive der Autonomisierung, nicht Perspektive der Hegemonialisierung von Lebensweisen.

Biopolitik vollzieht sich im Modus des Lebens. Das heisst, mit Biopolitik meinen wir die Politisierung des Lebens selbst, die Politisierung der Lebensweise. Lebensweise verstanden als ein Konglomerat von Lebens-Stil, Institutionen, Produktions- und Reproduktionsweise, Ressourcenbenutzung. Damit spielen wir auf v.a. auf verschiedenste Praktiken seit 1968 an, die eine Vielheit neuer Felder des Politischen eröffnet haben: Sexualität, Technologie, Geschlecht, Rassismus, Arbeits-, Natur- und Wohnverhältnisse. Mit einigem Recht könnte man sagen, dass all diese Themen schon lange vorher existierten, auch im sozialistischen Projekt auf wissenschaftliche Weise inkludiert waren. Das Neue besteht aber darin, dass seit ´68 diese Praktiken ihre eigene Dynamik entwickelt haben, die zu einer spezifischen Radikalität geführt haben: Die Möglichkeit, jede Tradition, jede Basis, jede Essenz zurückzuweisen, alles aufzulösen, sodass umgekehrt alles denkbar wurde!

Im Gegensatz dazu ruft die Perspektive der Bewegungspolitik andere Vorstellungen auf: Bewegung wird definiert in Opposition zu Staat und Partei. Die Bewegungsperspektive blickt ausschließlich auf den Grad der Institutionalisierung/Verstaatlichung. Sie kennt kein anderes Kriterium für die Beurteilung von Politik, als das, ob die Bewegung bereits "korrumpiert" ist. Die einen Bewegungsfunktionäre wachen also darüber ob andere Funktionäre die Bewegung bereits korrumpiert haben.

"Bewegung" könnte auch für die Neuerfindung von Lebensweisen stehen, die über den Status Quo hinausweisen und neue Formen der Vergesellschaftung hervorbringen. Dieser Aspekt wird aber von der Rede aus der Bewegungsperspektive oft ausgeblendet.

Den Erfolg und Niedergang des Neoliberalismus kann man nur verstehen, wenn man ihn gerade nicht bloss als ein Projekt begreift, als einen Trick, mit dem die Herrschenden die Subalternen noch mehr ausbeuten und unterwerfen wollen. Vielmehr müsste man den Neoliberalismus selbst als einen Effekt der Krise des Fordismus betrachten. Eine Krise, die nicht zuletzt mit den Veränderungen der Alltagspraxis nach 1968 zusammenhängen. Was in den üblichen politischen Termini des Fordismus nur als Niederlage gelesen werden kann (und was nach immer neuen Entscheidungsschlachten um die endgültige Zerschlagung des Sozialstaats entsprechend entmutig und passiviert), hat seine Wirkung auf einer ganz anderen Ebene gezeigt, der "Ausdehnung" des Lebens.

Wenn der Neoliberalismus die mangelhafte Rezeption des gesellschaftlichen Wandels durch die Linken ist, weil sie sich in letzter Instanz immer noch nicht von ihrer etatistischen Politikvorstellung verabschiedet hat, dann kommt es darauf an, neue Politikvorstellungen zu erfinden. Und in diesem Sinne haben wir - umgetrieben durch Fragen, die sich aus dem eigenen Lebensalltag ergeben - die Gunst der Gelegenheit das Podium besetzt, um zu sehen, welche neuen Momente sich in den Politikvorstellungen und Praktiken zweier Gruppen. Während attac sich selbst als "Volksbildungsbewegung" versteht, bildet für das argentinische collectivo situaciones die zapatistische Revolte einen wichtigen Bezugspunkt.

Ausschlaggebend für unsere Wahl war dabei vor allem, dass wir uns auf Gruppen/ Bewegungen beziehen, die gegenwärtig in irgendeiner Weise als solche politisch alltagsrelevant und -wirksam sind. Zweitens - und für unsere Perspektive interessanter - sehen wir sowohl in der politischen Praxis von attac als auch mit der kollektiven Bewegung in Argentinien und ihrer theoretischen Reflexion der Colectivo Situaciones soziale Politikformen markiert, die jenseits klassischer Bewegungspolitik zu verorten sind - wenn auch auf je unterschiedliche Weise.

Für die Struktur des workshops bedeutet dies, dass wir als nospoon in mehreren Diskussionsrunden die Perspektiven der beiden Referenten auf ihre biopolitischen Aspekte hin befragen. Unsere eigene Position liegt hierbei darin, die Frage nach neuen Lebens- und Politikformen selbst als einen Gegenstand der Debatte anzusehen - oder genauer: die Diskussion unter diese Frage zu stellen.

Insgesamt haben wir fünf Themenschwerpunkte vorgesehen, mit denen wir uns erhoffen, die Differenzen, die Ähnlichkeiten, und jenseits davon das "andere" sichtbar werden zu lassen, das sich mit den jeweiligen politischen Praktiken verbindet.

Zum Schluss des workshops wollen wir schliesslich auch für das Publikum öffnen und damit die Diskussion erweitern.
Bevor wir nun in die erste Fragerunde einsteigen noch ganz kurz zu den Referenten selbst:
Peter Wahl ist bei WEED, das ist eine NGO, die zu den Themen Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung arbeitet. Für WEED sitzt Peter Wahl im Koordinierungsausschuss von attac.
Sebastian Scolnik und Fabio Romanello sind Mitglieder der Gruppe "colectivo situaciones", die sich als Teil der sozialen Bewegung in Argentinien versteht. Von ihnen ist kürzlich bei Assoziation A ein Buch mit Texten zu den sozialen Kämpfen in Argentinien erschienen.