Hände hoch! Geld her!

Eine politische Geschichte des Bankraubs und seiner von Sozialromantik infizierten Täter

KLAUS SCHÖNBERGER (Hrsg.): Va Banque; Bankraub, Theorie, Praxis, Geschichte, Verlag Libertäre Assoziation/Schwarze Risse/Rote Straße, Berlin/Hamburg 2000. 328 Seiten, 34 Mark.

Sind es die schnellen und schicken Autos? Ist es die Kaltschnäuzigkeit? Oder ist es einfach der Traum von einem Leben, in dem die tägliche Fron für immer der Vergangenheit angehört? Die Gründe sind vielfältig, aber eines ist sicher: Bankräuber erfreuen sich großer Beliebtheit, im Film wie im wirklichen Leben.

So etwa John H. Dillinger, der Robin Hood der 30-er Jahre in den USA. Zwar verteilte Dillinger nichts von seiner Beute, doch zwischendurch ließ er den einen oder anderen Schuldschein mitgehen. Als er im Alter von 31 Jahren durch Polizeikugeln starb, nahmen 15 000 Menschen an seiner Beerdigung teil. Oder Albert Spaggiari: Mit dem Einbruch in den Tresorraum der Société Général von Nizza 1976 wurde er zur Legende. Sein Weg durch die Kloake der Kanalisation hin zu Gold und Juwelen diente zwei Büchern und einem Film als Vorlage. 1977 tauchte Spaggiari in Südamerika unter und lebte dort bis zu seinem Tode.

"Va Banque" ist ein Spiel mit ungewissem oder riskante Ausgang. Zu Recht hat Klaus Schönberger dem von ihm herausgegebenen Buch über Theorie, Praxis und Geschichte des Bankraubs diesen Titel gegeben. Nicht nur, weil fast alle, die in diesem Metier tätig waren, lange Zeit ihres Lebens in Gefängnissen verbrachten. Auch das öffentliche Ansehen des Bankräubers steht und fällt mit seinem Erfolg. Für Schönberger sind die weit verbreiteten Fantasien vom gelungenen Coup "konkrete Utopie im Sinne Ernst Blochs"; der Bankraub ist mitunter ein Kampf gegen die entfremdete Lohnarbeit. Mit anderen Worten: Wer "schnell Geld verdienen und ein sorgenfreies Leben" führen will, wie etwa ein 25-jähriger Beschuldigter vor dem Tübinger Landgericht seine Motivation erklärte, sucht sich das geeignete Geldinstitut.

Bankräuber werden zur Projektionsfläche, vorausgesetzt, die Adjektive stimmen: sie müssen gewaltfrei, schlau und erfolgreich vorgehen. Entpuppen sie sich später als traurige Gestalten, ernten sie Spott. Ein Misserfolg bestätige die Entscheidung der Zuschauenden, lieber Lotto zu spielen, folgert Schönberger.

Angenehm unaufgeregt, aber auch ohne die erwartete Ironie beschäftigen sich die 39 Autoren und Autorinnen mit verschiedenen Aspekten und Koryphäen dieser kriminellen Zunft. Nicht zufällig findet sich Bert Brechts berühmter Satz zum Thema gleich mehrmals im Buch. "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" – eine Frage, die Va Banque eindeutig zu Gunsten der Einbrecher beantwortet.

Folgerichtig ist auch das Buch selbst nicht frei von Projektionen. Ob es um die Theorie des Bankraubs oder die mediale Verarbeitung geht, um die Pfälzer Kimmel-Bande, den Franzosen Jacques Mesrine oder Disneys Panzerknacker, regelmäßig schimmert die hoffnungsvolle Suche nach dem linkem Sozialrebell oder zumindest dem edlen Räuber durch. Wohl deshalb sind unter den porträtierten Männern und Frauen die politisch motivierten Räuber unverhältnismäßig häufig vertreten. So etwa die früher als "Banklady der Revolution" diffamierte 68-er-Aktivistin Margit Czenki. Oder die Mitglieder der Berliner "Bewegung 2. Juni", die während ihren Überfällen Negerküsse an die Kundschaft verteilten. Auch der spanische Anarchist Buenaventura Durruti passt ins Bild, galt ihm doch die finanzielle Erleichterung von Banken als "revolutionäre Gymnastik".
Statistisch gesehen sieht die Sache allerdings ziemlich unromantisch aus: Meist ließen sich die Täter, ganz unideologisch und sehr spontan, zu einem Überfall hinreißen, weil eine ausstehende Rate nicht beglichen werden konnte.

Doch mit der Masse sinkt auch die Klasse, beklagt Ko-Autor Marcel Boldorf. Amateurhaftes Vorgehen habe nach dem 2. Weltkrieg die Arbeit eleganter Safeknacker abgelöst. Wirklich guten Stil garantierte dagegen, wer die richtigen Fahrzeuge benutzte. So die Bonnot-Bande: Mit ihrem Delaunay-Belleville, Baujahr 1910, entflohen die Anarchisten noch jeder Polizeistreife. Die französischen Ordnungshüter brachten es damals, im Jahr 1911, auf ganze vier Autos. "Die Entwicklung der ersten Automobile", analysiert Florian Schneider, habe eine frühe Blütezeit von Bankräubern eingeläutet. So stehe der V-8 Ford Modell A, mit dem das Gangsterpärchen Bonnie und Clyde auf Beutezug gegangen war, für den technologischen Vorsprung der Delinquenten. Und für deren Image. Bankräuber galten in den USA als "automobile Outlaws", die "ein eigengesetzliches soziales Leben organisierten".

Auch Schneider entdeckt in den Nachkriegsjahren einen entscheidenden Bruch. Mit der Automobilisierung der Gesellschaft habe der motorisierte Bankräuber seine Avantgardestellung verloren. Spätestens mit der Zunahme neuer Kontrolltechniken laufe "der klassische Bankraub mit anschließender Fahrzeugflucht" ohnehin Gefahr, endgültig zur Nostalgie zu verkommen. Für die Freunde des stilvollen Verbrechens werden die Zeiten jedenfalls kaum besser. Wer heute vom großen Geld träumt, setzt angesichts von Online-banking und Scheckkarten auf Bytes statt Banknoten. Denn "während ein traditioneller Bankräuber im Schnitt 14.000 Dollar erzielt", schreibt David Rosenthal, "ist die Beute der Computerganoven mit durchschnittlich zwei Millionen Dollar um ein Vielfaches höher". So ändern sich die Zeiten.

WOLF-DIETER VOGEL
(Der Rezensent ist freier Journalist in Berlin).

(aus: Süddeutsche Zeitung, 21.11.2000)